Ich bin 18 und beziehe meine erste eigene, richtige Wohnung in Bad Reichenhall in der Frühlingstrasse im 4. Stock unterm Dach. Eine schnuckelige Wohnung, die ich „studentisch“ einrichte mit Bücherregalen aus Brettern, die über Ziegelsteinen liegen und einer Küche, die ebenso „roh“ zusammen gezimmert ist.
Der „Kleiderschrank“ besteht aus einer Stange, die quer unter der Schräge hängt und mein Wäscheschrank ist ein altes Küchen-Buffet vom Flohmarkt.
Mein riesiges Doppelbett steht unter der Schräge unterm Dachfenster und ich liebe es, nachts die Sterne zu sehen und bei Regen dem Klopfen der Tropfen auf der Scheibe zu zuhören.
Geheizt wird das Wohnzimmer (und nur das ist überhaupt heizbar) mit einem kleinen Kohlenofen. Die Kohlen schleppe ich aus dem Keller 5 Stockwerke nach oben. Das Anheizen ist eine Kunst für sich. Ich helfe manchmal mit dem Föhn nach und freu mich jedesmal, wenn es mir gelungen ist anzuheizen und das Feuerchen richtig flackert. Ich fühle mich rundherum wohl in meiner Bude und freu mich des Lebens.
Einmal kommt mein Vater zu Besuch und wir hocken uns auf mein riesiges Bett, rund um uns herum lauter Schnapsflaschen, in denen noch Reste der verschiedensten Sorten sind. Ich bekomme diese Flaschen vom Chef des „Alpgarten“ geschenkt, dem Gasthof, in dem ich zurzeit jobbe. Er mag mich sehr gerne, der Chef, und beschützt mich sogar vor frechen Gästen, indem er mir den Arm um die Schultern legt und den Gast provokant fragt: „was wollen‘s von meiner Ingrid? Brauchen’s nur was zu sagen, dann fliegen‘s gleich raus!“ Ja, er war ein wilder Typ, der Wirt vom Alpgarten, aber mit einem weichen Kern. Und er drängte mir nahezu die Schnapsflaschen mit den Resten auf und meinte, das tät mir gut, so ab und zu a Schnapserl!
Ja und nun meinte ich zu meinem Vater, dass uns so ein Schnapserl gut täte. Hätte es sicher auch, wenn es bei „einem Schnapserl“ geblieben wäre. Aber wir machten eine ganze Schnaps-Probe. Jede dieser wunderbaren Sorten mussten wir probieren, als da waren Himbeergeist und Williams-Birne, Kirschwasser, Zwetschgenwasser und einfache Obstler. Dann gab’s auch noch Kräuterliköre wie Jägermeister und Bärwurz, die uns dann wohl auch den Rest gegeben haben. Ich für meine Person schlief herrlich tief und fest bis zum Morgen. Mein Vater jedoch verbrachte die halbe Nacht auf der Toilette. Er brauchte bis zum Mittag, um sich zu erholen von dem hässlichen Kater. Noch heute lachen wir darüber, wenn wir uns gemeinsam daran erinnern.
Am nächsten Tag wurde ich im Treppenhaus von meiner allzeit präsenten Nachbarin in Kittelschürze auf meinen „Herrenbesuch“ angesprochen. Sowas würde in diesem anständigen Haus nicht geduldet. Ich war etwas begriffsstutzig und kam erst durch Nachfragen darauf, dass sie meinen Vater meinte. Den wilden Typ mit dem Vollbart. Als ich ihr das Missverständnis lachend erklärte, meinte Sie, ich solle nicht frech werden, glaubte mir kein Wort und ging, in ihren Damenbart über die verdorbene Jugend schimpfend, in ihre Wohnung.
Mein schwuler Freund Seppl besuchte mich auch manchmal und ich hätte nicht wenig Lust gehabt, ihn meiner bigotten Nachbarin vorzustellen.